Das Darknet wird oft als Ort jenseits der Gesetze beschrieben. Von der Anonymität geschützt gehen Verbrecher*innen ihrem Tagwerk nach. Doch genau diese Anonymität hilft auch denjenigen, die demokratische Prozesse schützen wollen.
Sicherheitsbedürfnisse von Menschen unterscheiden sich, das hat sehr viel mit den jeweiligen Lebensrealitäten zu tun. Das gilt auch und besonders für den digitalen Raum. Die Landesregierungen der Bundesländer scheinen dies jedoch anders zu sehen. Das zeigt sich im "Darknet"-Gesetzentwurf, dem der Bundesrat bereits zugestimmt hat und der nun dem Bundestag vorliegt. Bestraft werden könnte zukünftig, wer Dienste anbietet, die anderen helfen, anonym zu surfen. Dies könnte eine der wichtigsten Infrastrukturen für persönliche Sicherheit im Internet, das Tor Netzwerk, in Deutschland kriminalisieren. Bereits im Februar hat Prof. Dr. Günter Krings, Parlamentarischer Staatssekretär im Innen- und Heimatministerium, auf dem Polizeikongress in Berlin seine einseitige und privilegierte Sicht auf die Anonymisierungssoftware kundgetan:
"Ich verstehe, warum das Darknet einen Nutzen in autokratischen Systemen haben kann. Aber in einer freien, offenen Demokratie gibt es meiner Meinung nach keinen legitimen Nutzen. Wer das Darknet nutzt, führt in der Regel nichts Gutes im Schilde. Diese einfache Erkenntnis sollte sich auch in unserer Rechtsordnung widerspiegeln."
Was ist "das Darknet"?
"Das" Darknet gibt es so nicht. Es gibt verschiedene Technologien, die das anonymisierte Bereitstellen und Abrufen von Inhalten ermöglichen. Das bekannteste dieser Netzwerke ist das Tor-Netzwerk.
Die Basis des Tor-Netzwerks sind die von Freiwilligen betriebenen Server, sogenannte Tor-Nodes oder Tor-Relays, die miteinander das technische Netzwerk bilden. Verkehr innerhalb des Netzwerkes wird mehrfach verschlüsselt und umgeleitet und dadurch anonymisiert. Derzeit gibt es circa 7.000 betriebene Server weltweit und jede*r kann (sofern technische Expertise vorhanden ist) selbst einen Server im Tor Netzwerk betreiben, die Software für die Server ist open source.
Um die automatische Verbindung mit dem Tor-Netzwerk kümmert sich der Tor-Browser, ein umgebauter Firefox-Browser. Das Besondere am Tor-Browser ist, mit ihm können wir nicht nur reguläre Webseiten anonym anfragen, um zum Beispiel Tracking zu umgehen, sondern auch Seiten, die innerhalb des Tor-Netzwerk gehostet werden. Diese Seiten oder Dienste werden Onion-Services genannt, weil ihre Adressen auf .onion enden (statt .de oder .org). Sie können nur mit dem Tor-Browser angesurft werden und sind ein Großteil dessen, was allgemein unter "Darknet" verstanden wird.
Was passiert nun in diesem "Darknet"? Alles. Es gibt Seiten mit Darstellungen von sexualisiertem Kindesmissbrauch, es gibt Seiten zum Drogen- und Waffenhandel, es gibt Blogs und Chat-Foren verschiedenster gewaltbereiter Szenen, es gibt aber auch Rätselwettbewerbe, Maildienste, Datenhoster, Bibliotheken mit wissenschaftlichen Artikeln (für die man an anderer Stelle zahlen müsste), Medienseiten wie The New York Times, und auch Facebook hat eine offizielle Präsenz. Zudem haben viele investigative Medien hier einen anonymen Briefkasten in den Whistelblower*innen Daten übermitteln können.
Innerhalb des Netzwerks sind vor allem Leute, die Dinge verkaufen wollen oder Informationen verbreiten, sichtbar. Menschenrechtsaktivist*innen, die unauffällig unterwegs sein wollen, bleiben im Verborgenen. Sie können das, wenn andere, weniger gefährdete Menschen den Tor-Browser im Alltag nutzen. In unserem Datenschatten können sie sich dann frei bewegen. Tor ist also ein technisches Werkzeug, mit dem Gutes aber auch Gewalt erzeugt werden kann. Ähnlich wie mit einem Messer oder Hammer, kann man sinnvolle Dinge mit Tor machen oder Gewalt ausüben, es ist ein technisches Werkzeug.
Wozu nun Tor in "offenen Demokratien"?
In autokratischen Systemen macht ein anonymisierendes Werkzeug wie Tor viel Sinn. In einem Land mit zensierter Presse können Journalist*innen nicht veröffentlichen, was sie wollen, Leser*innen können solche Inhalte aber auch einfach nicht finden, bzw. müssen fürchten dafür bestraft zu werden. Aber auch in Demokratien ist anonyme Kommunikation wichtig. Aktivist*innen im Exil sind darauf angewiesen, dass ihr sicherer Aufenthaltsort (z.B. in Europa) geheim bleibt. Unterstützer*innen in Europa können die Daten, die Leute vor Ort sammeln oder filmen, abrufen, auswerten und in ihren Staaten skandalisieren, um politischen Druck auszuüben, z.B. wenn deutsche Waffen in Kriegen eingesetzt werden.
Demokratie baut unter anderem darauf auf, dass Menschen unzensierten Zugang zu Informationen haben, sich daraus Meinungen bilden, Regierungen kontrollieren und zur Rechenschaft ziehen können. Anonymisierende Werkzeuge ermöglichen es Informationen zu veröffentlichen aber auch zu beziehen, die sonst geheim bleiben würden. Whistleblowing kennen wir mittlerweile alle.
Anonymisierung dient aber auch als Schutz vor Repressionen und Gewalt, denn wir wissen auch, dass das Internet nicht für alle ein sicherer Ort ist.
Eine "einfache Erkenntnis"?
Gerade Frauen, People of Color, LGBTIQ+ Menschen und Angehörige nicht-christlicher Religionen kennen die Notwendigkeit, sich online bewegen, informieren und kommunizieren zu wollen, ohne überwacht und Angst vor den Folgen haben zu müssen. In Zeiten in denen wir mit kommerziellem Tracking, Staatstrojanern, Vorratsdatenspeicherung und neuen Polizeigesetzen zu kämpfen haben, müssen wir uns selbst um unsere und solidarisch um die digitale Sicherheit anderer kümmern. Und das auch mitten in Europa,
So wie wir das Bedürfnis haben, uns durch die Stadt zu bewegen ohne dauerhaft eine*n Verkäufer*in und eine*n Polizist*in im Schlepptau zu haben, wollen wir auch frei im Internet unterwegs sein. Wir wissen, Beobachtung führt zu Selbstzensur.
Ganz so einfach ist die Erkenntnis von Herrn Kringel dann also doch nicht.
Im Darknet unterwegs zu sein heißt nicht, dass wir was im Schilde führen, es heißt, dass wir von unseren Freiheitsrechten Gebrauch machen.